Im öffentlichen Raum ist oft kaum zu erkennen, wie es einer Person wirtschaftlich geht. Das monatliche Budget lässt sich nicht von der Stirn ablesen und die Vereinbarkeit mit den Bedürfnissen ebenso wenig. Die wenigsten Armutsbetroffenen tragen abgetragene, schmuddelige Kleider, bei Aktionsverkäufen schlagen durchaus auch Gutverdienende zu.
In einem ausführlichen Gespräch mit zwei engagierten Mitarbeiterinnen vom Verein für Gassenarbeit «Schwarzer Peter» bekomme ich eine Ahnung von den fast unvorstell- bar prekären Zuständen und den Problemen, mit denen sich Armutsbetroffene täglich herumschlagen müssen. Sie ermöglichen mir ein weiteres Gespräch mit Sabrina (Name geändert) in der Kaffeeküche des «Schwarzen Peter».
IV-Rente nach Unfall
Sabrina bezieht nach langjähriger Arbeit seit einem Unfall mit erheblichen Komplikationen eine IV-Rente, die jedoch kaum zum Leben reicht. Ihre Tochter und ihre Enkelin im Kindergartenalter leben von der Sozialhilfe.
Für Sabrina ist es wichtig, dass die Kinder nicht unter der Armut ihrer Eltern leiden. Sie sollen nicht auffallen, auch wenn sie ihnen die angesagten neuen Kleider, Schuhe und Spielsachen nicht kaufen können. So sparen Erwachsene eher bei sich selber. Trotzdem müssen die Kinder früh lernen, dass sie nicht die gleichen Möglichkeiten haben wie die Kinder besser gestellter Eltern. Sabrina entschädigt ihre Enkeltochter mit Zuwendung, Spielen im Park, wo anstatt der Chipstüte ein Apfel und an der Kindertankstelle nur eine Erdbeere reichen müssen.
Das Organisieren, sich mit einer Rente über Wasser zu halten, ist ein Fulltimejob.
Täglich wird im Internet nach Gratisabgaben gesucht, z.B. Kartoffel- und Apfeltag von der Winterhilfe oder bei der Schweizer Tafel, wo man überschüssige, aber noch frische Lebensmittel beziehen kann.
Gratisangebote und interessante Aktionen werden sofort über Plattformen wie «What’s Up» weitergemeldet. Leistet sich Sabrina einmal einen Kinobesuch für fünf Franken oder ein Buch für ihren E-Reader, hat sie gleich ein schlechtes Gewissen – es wäre ja nicht unbedingt notwendig.
Schlechte Erfahrungen macht Sabrina selten, auch wenn sie im Park manchmal von andern Grossmüttern oder Mamas etwas von oben herab behandelt wird.
Nur einmal sei sie echt wütend geworden, als eine Frau zu ihrer Enkelin sagte, sie wäre doch sicher lieber in einem Heim, als bei ihrer sozialhilfeabhängigen Mutter.
Armut
Armutsgefährdet sind vor allem Menschen, die
• ein sehr tiefes Einkommen erzielen (working poor);
• die keine oder nur ungenügende Arbeit finden;
• keine dem Arbeitsmarkt entsprechende Ausbildung haben;
• alleinerziehend sind;
• von Krankheit oder Invalidität betroffen sind;
• einen Haushalt alleine finan- zieren müssen.
Armut ist vererbbar. Nachweislich sind Kinder aus armen Familien häufig als Erwachsene ebenfalls von Armut betroffen. Sie haben oftmals von Beginn an schlechte Startbedingungen. Die Zahl der Armutsbetroffenen steigt an, im unteren Kleinbasel sind es 8,8% der Bevölkerung. 40% der Personen in der Sozialhilfe sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.
Quellen: Bundesamt für Statistik, Bericht der Caritas Schweiz, Statistik Basel Stadt Obdachlosigkeit
Obdachlosigkeit
Eine Studie der Christoph Merian Stiftung (CMS) von 2019 zeigt, dass in Basel rund 100 Menschen obdachlos sind. Etwa 50 Personen schlafen im Freien, weitere 50 in Notunterkünften (kantonale Notschlafstellen, Moscheen, Kirchen). Rund 200 Personen haben keine eigene Wohnung.
Sie übernachten in Notwohnungen der Sozialhilfe, kommen bei Bekannten unter und halten sich tagsüber in verschiedenen Einrichtungen der Obdachlosenhilfe auf.
Viele Betroffene haben gleich mehrere Probleme: Finanzielle Schwierigkeiten nach dem Verlust des Arbeitsplatzes führen auch zum Verlust der eigenen Wohnung. Drogensüchtige, Menschen mit psychischen Problemen sind ebenso be- troffen wie Arbeitssuchende aus Zentral- und Osteuropa, Sans-Papiers und Asylsuchende. Der Mangel an günstigem Wohnraum in Basel verschärft dieses Problem.
Obdachlosigkeit führt zu sozialer Vereinsamung, körperlichem Elend und gesellschaftlichem Ausschluss.
Monica Bühler-Pfändler
Aus mozaik 4/2019, Rubrik Schwerpunkt: Unsichtbar