Die un-heimlichen Stromfresser

Die Digitalisierung frisst Unmengen von Strom. Warum ist in der ganzen Energiespar-Diskussion davon nicht die Rede? 

Um es klar zu stellen: Ich bin kein ICT-Gegner! Wenn ich diesen Beitrag schreibe, sitze ich schreibend – mit digital betriebenen Hörgeräten bestückt !  – daheim an meinem Laptop,  nachdem ich schon zuvor mehrfach, auch mit der Suchmaschine meines Handys, zum Thema Energiesparen geforscht habe. Und ich weiss: Unser ökologischer Fussabdruck ist viel zu gross und muss dringend gesenkt werden. Der Ressourcenverbrauch der Schweiz ist so gross, dass wir drei Erden bräuchten. Ein Zurückfahren ist zwingend nötig. Dabei geht es nicht nur um CO2, sondern generell um ein Gleichgewicht mit der Natur, um Biodiversität und Gerechtigkeit! 

Stromverbrauch von ICT

Auffällig ist, wie schon erwähnt: Die Welt des Digitalen kommt in den – teils durchaus wichtigen – Spar-Empfehlungen nicht vor. Vielleicht eine pädagogische Warnung an unsern Nachwuchs, nicht stets aufs Handy zu schauen. Während wir alle fast pausenlos verführt werden, uns auf diese moderne Technik einzulassen. Verführt? Nein: genötigt: Fahrkarten kann man schon lange nicht mehr an einem Schalter kaufen. Menschen ohne E-Mail, WhatsApp oder sonst einem Social-Media-Kanal fallen aus dem gesellschaftlichen Kontext. Sie drohen zu vereinsamen, wenn sie sich nicht dem digitalen Diktat beugen.

Strom macht ein Viertel der in der Schweiz verbrauchten Energie aus. Im Jahr 2021 wurden  58 Terawattstunden verbraucht. 55 % davon gingen zu  Industrie, Gewerbe- und Dienstleistungsunternehmen. Wie gross der Anteil der ICT am Stromverbrauch in der Schweiz ist, konnte ich nicht herausfinden. Weltweit soll er ca. 10 % betragen. Sicher ist, dass er laufend zunimmt: In der Industrie wird die Produktion immer mehr automatisiert. Und die Dienstleistungsunternehmen investieren in Informatik und Kommunikation. Deshalb steigt hier der Verbrauch konstant.

Nicht nur Computer und Mobiltelefone verbrauchen Strom. Richtige Stromfresser sind die Rechenzentren, auf denen die Daten liegen. Viele haben den Energieverbrauch einer ganzen Stadt. Hinzu kommt das Kühlen der Server, die rund um die Uhr auf Hochtouren laufen.

Schon 2018 schrieb der «Stern»: «Wenn das Internet ein Land wäre, wäre es gemessen am Sromverbrauch das fünftgrösste der Welt». Und der Boom des Internets mit immer neuen Technologien treibt den Energiebedarf weiter in die Höhe. Bis 2025 wird eine Steigerung der IT-Leistung von 30 Prozent erwartet. Getrieben wird das Wachstum vor allem vom Cloud-Computing. Gemäss sogar konservativer Prognosen wird die ICT bis 2030 so viel Strom verbrauchen, dass wir 1000 AKW Gösgen bräuchten! Eine wichtige Rolle spielt auch die Mobilfunkindustrie. Der forcierte Ausbau von 5G mit neuen Antennen schreitet voran. Und 5G will bis zu einer Million Geräte pro Quadratkilometer miteinander vernetzen: Internet-gebundene Sensoren, Überwachungselemente, Drohnen und smarte oder gar autonome Fahrzeuge. «Die Digitalisierung hat unseren Fussabdruck weitgehend unbemerkt explosionsartig vergrössert. Durch Milliarden Server, Antennen, Router und LAN-Netzwerke sind die vermeintlich «dematerialisierten» Technologien nicht nur Rohstoffverbraucher, sie wachsen sich mittlerweile zu einem der materialintensivsten Phänomene aller Zeiten aus». so zu lesen in Le Monde diplomatique.

Umweltfreundliche Energie?

Es handle sich ja aber um grüne, saubere, umweltfreundliche Energie, werden wir belehrt. Und es gälte, von den fossilen Energien wegzukommen. Zu den sogenannt «sauberen Technologien» zählen nebst Wasserkraft: Windkraft und Voltaik für Sonnenenergie. Diese Letzteren, wie auch Batterien, Smartphones, Tablets u.ä. funktionieren nur dank der (nicht erneuerbaren!) «Seltenen Erden». Diese sind gewissermassen das «Öl der digitalen Welt». «Selten» heissen sie wegen des geringen Anteils innerhalb der  Umgebungsmaterialien eines «Vorkommens»: Für 1 Gramm seltene Erde muss 1 Tonne Fels durchwühlt werden. Dazu werden riesige Bulldozer eingesetzt, mit Diesel betrieben. Weitab von Ökologie! Alles geschieht in Tagbau und setzt Unmengen Staub frei. Die Maschinen hinterlassen eine Wüstenei. Milliarden Tonnen von Abfall mit Minen-Rückständen und zerstörte Biodiversität bleiben zurück. 

Da die seltenen Erden prinzipiell nur in Verbindung mit andern Materialien vorkommen, müssen sie herausgelöst  werden. Für die mehrstufigen Verfahren braucht es viel Wasser und zahlreiche Chemikalien, aber auch Feuer zum Erhitzen und Schmelzen. Folgen sind: Vergiftete Flüsse, verpestete Luft, Krankheiten bei der ansässigen Bevölkerung, Ausbeutung. Weitere Folgen sind: klimatische Veränderungen, Verlust der Biodiversität. Das Bild von «sauberer Energie» bei uns entsteht, weil der Dreck verschoben wird in Gegenden, wo sich die Menschen nicht wehren können oder dürfen. Ein übliches Muster in der Wirtschaft! Neu ist hier nur, dass die Produkte als «grün» und «sauber» verkauft werden!

Privater Stromverbrauch nach Verwendungszweck
Ein Zwei-Personen-Haushalt in einer Mehrfamilienwohnung verbraucht rund 2190 kWh (2019). Rund die Hälfte davon werden fürs Kochen, Spülen, Waschen und Trocknen genutzt. Mit einem Anteil von 19 Prozent ist die Unterhaltungs- und Büroelektronik die zweitgrösste Verbrauchergruppe nach dem Kochen, Spülen und Kühlen. (Quelle: Faktenblatt EnergieSchweiz, August 2021)

Konsequenzen

Wir sollten aufhören, bei ICT von «sauberer, grüner Energie» zu sprechen. Man kann nicht, quasi schizophren, das Produkt «Elektrizität» abspalten von seiner dreckigen Geschichte! Folglich muss auch hier gelten: «Weniger ist mehr!». 

Was bedeutet das? Wir können diesen Appell zunächst auf uns selbst beziehen. Das Video-Streamen gehört ja zu den grossen Stromfressern. Doch der weitaus grösste Stromfrass entsteht nicht auf der Seite des Endverbrauchs, sondern auf der Anbieterseite. Mit der Überwucherung der Stadt mit Mobilfunk-Antennen, mit den städtischen Smart-City-Plänen, etwa für das Klybeck-Quartier, und mit der Digitalisierung des Geldverkehrs. Möglicherweise könnte ja der drohende Strom-Mangel mit einem Innehalten bei der digitalen Aufrüstung behoben werden? Und wir könnten in der Zwischenzeit demokratisch überlegen, wie viel von der «schönen neuen Welt» der ICT, von kommunizierenden Kühlschränken und selbstfahrenden Autos, wir wirklich brauchen und wollen?

Oder sehe ich das falsch? Ist «Sparen bei ICT» etwa darum kein Thema, weil die digitale Aufrüstung gerade so hohe Priorität besitzt, dass sie nicht hinterfragt werden darf? Sogar so hohe, dass unser Parlament neulich mit der «Lex Grignols» an der Verfassung vorbei erkämpfte Naturschutz-Standards über den Haufen wirft? Dass wieder von Gas- und Atomkraftwerken gesprochen wird? Wäre dem so, würde sich unser ökologischer Fussabdruck trotz unseres Frierens bei 19 Grad vergrössern!

Text und Bild: Benno Gassmann