«Long story short I survived»* – für den 17-jährigen Asıf nahm eine lange und gefährliche Flucht von Afghanistan nach Basel ein gutes Ende.
Asıf (Name geändert), ein schlaksiger Teenager, ist in Herat aufgewachsen, der zweitgrössten Stadt Afghanistans. Er war 15jährig, als er sich in Afghanistan auf eine Reise aufmachte, die 15 Monate dauern sollte. Seine Muttersprache ist Dari, eine in Afghanistan gesprochene Variante des Persischen. Englisch und deutsch spricht er (noch) nicht. Sein Bruder begleitet ihn zum Gespräch mit dem mozaik, übersetzt Fragen und Antworten und erklärt gelegentlich etwas.
«Wir war es für dich in Herat, dass du dich zur Flucht entschieden hast?»
«Ich habe acht Jahre die Schule besucht, aber keine Chancen auf eine Ausbildung. Einer meiner Brüder hatte als Anwalt für die Regierung gearbeitet. Nach der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 musste er wie viele andere fliehen. Auch seinen Angehörigen waren in Gefahr. Ich habe im Verborgenen gelebt.»
«Wie bist du in die Schweiz gekommen?»
«Mit einem Schlepper. Über Iran und die Türkei. Von dort übers Meer nach Italien und dann in die Schweiz. Der Schlepper hat 12 000 € gekostet. Das hat mein Bruder bezahlt, der im Iran lebt.»
«Hast du deinen Bruder unterwegs getroffen?»
«Ja.»
«Und wie war das?»
«Solala.»
Asıfs Bruder erklärt, für Afghanen sei die Lage in Iran sehr schwierig.
«Wie verlief die Reise?»
«Wir waren etwa 15 Monate unterwegs. In einer Gruppe mit Erwachsenen und Kindern. Ich war der einzige alleinreisende Jugendliche. Den Schlepper haben wir eigentlich nie gesehen, nur seine Helfer. Der Kontakt lief übers Telefon. Wir bekamen Anweisungen, wo wir zu warten hätten.
Gefahren sind wir im Auto. Acht Leute, auch im Kofferraum. Das Essen ist inbegriffen. Aber es ist wenig, meistens nur Wasser und Brot. Einmal gab es zweieinhalb Tage nichts. Übernachtet haben wir draussen.
Gefährlich ist die Überquerung der Grenze zwischen Afghanistan und Iran. Dort wird geschossen. Ein Cousin von mir ist so ums Leben gekommen. In der Türkei bin ich zweimal von der Polizei erwischt worden. Sie schlagen dich. Sie nehmen dir das Geld und das Telefon ab. Dann schaffen sie dich zurück in den Iran. Erst beim dritten Mal hat es geklappt.
Von der Türkei kam ich mit einem Schiff nach Süditalien. Das Meer war unruhig, das Boot völlig überfüllt.»
Sein Bruder ergänzt, die Fahrt dauere normalerweise vier Tage. Weil Asıf sich danach nicht meldete, habe er befürchtet, es sei ein Unglück passiert. Er sei fast verzweifelt. Erst nach acht Tagen sei das Schiff in Italien angekommen und habe Asıf ihn angerufen.
Asıf fährt fort: « Eine Woche war ich in einem Camp in der Gegend von Bari. Dann ging ich nach Mailand und weiter Richtung Schweiz. Beim Überqueren der Grenze wurde ich von der Grenzwache aufgegriffen und ins Camp nach Chiasso gebracht.
Ich stellte mein Asylgesuch. Mir wurden die Fingerabdrücke abgenommen. Ich sagte ihnen, dass mein Bruder in Basel lebe. Ich wurde in ein Camp für Minderjährige geschickt. Dort bekam ich ein Billett und eine Karte und fuhr mit der Bahn nach Basel.»
Asıf verbracht fünfeinhalb Monate im Bundesasylzentrum im Bässlergut.
«Wie war das?»
«Nicht so gut. Es gibt sehr viele Minderjährige, viele sind krank. Es ist dreckig und hat Bettwanzen. Die bringen viele mit, die so geflüchtet sind wie ich. 14 Jugendliche teilen sich ein Zimmer. Da gibt es oft Streit. Der eine will schlafen, der andere Musik hören. Im Esssaal kann man fernsehen, in einer Halle Fussball spielen oder trainieren. Ein- bis zweimal pro Woche, man muss sich vorher anmelden.»
«Tagsüber kann man das Zentrum verlassen. Was machst du in dieser Zeit?»
«Zwischen 13.30 und 20 Uhr. Wir gehen in die Stadt, etwas einkaufen, oder an den Rhein.»
Asıf blieb lange im Ungewissen, was mit ihm passieren würde. Niemand erklärte ihm die nächsten Schritte im Verfahren, wie er berichtet. Es gebe zu wenig Betreuungspersonen, die Zeit hätten für Gespräche. Nach fünfeinhalb Monaten kam er in ein Wohnhaus in der Nähe des Badischen Bahnhofs, wo er mit andern jungen Erwachsenen und Männern lebt. Das sei viel besser als im Camp. Er ist vorläufig aufgenommen (Status F). Sein Bruder und dessen Schweizer Bekannte unterstützen ihn.
Was ist nun wichtig für ihn? Asıf möchte Computerspezialist werden, lernt aber zuerst einmal Deutsch und besucht dazu seit Mai einen Deutschkurs. Ab und zu telefoniert er mit seinen Eltern in Herat. Er vermisse seine Mutter sehr, sagt sein Bruder.
Matthias Brüllmann
* Lange Geschichte kurz ich habe überlebt