Was bringt das neue Partizipationsgesetz? Nicole Fretz vom Präsidialdepartement nimmt im Interview mit dem «mozaik» Stellung. Das Gespräch führte Jerusalem Ilfu.
Volta-Nord, Umgestaltung der Burgfelder- und Missionsstrasse, Klybeck, Hafenareal: Bei Arealentwicklungen und Bauvorhaben gibt es gesetzliche geregelte Mitwirkungsmöglichkeiten im Rahmen von Planauflagen und Abstimmungen. Daneben finden sogenannte informelle Mitwirkungsverfahren statt. Dabei können Quartierbewohnende Anliegen einbringen. Die Einbindung der Quartierbevölkerung bei grossen Projekten in Basel-Stadt nimmt einen immer bedeutenderen Platz in den kantonalen Planungsstrategien ein.
Bei vielen informellen Mitwirkungsverfahren wurde von Seiten Quartier bemängelt, dass Informationen zu spät erfolgten. Voraussetzungen, Abläufe und Entscheidungsprozesse seien nicht transparent. Die Quartierbevölkerung habe zu wenig Mitspracherecht. Die Anliegen würden ignoriert.
Aus diesem Grund hat die SP-Grossrätin Lisa Mathys 2018 eine Motion eingereicht. Sie verlangte, dass informelle Mitwirkungsverfahren konkretisiert und in einem Gesetz geregelt werden. Die zuständige Fachstelle Stadtteilentwicklung hat einen entsprechenden Gesetzestext erarbeitet. Im Erarbeitungsprozess wurde ein öffentliches Beteiligungsverfahren «Mitwirkung weiterdenken» durchgeführt.
Am 10. Mai 2023 hat der Grosse Rat das Partizipationsgesetz (ParG) verabschiedet. Was dies in der Praxis bedeutet, erklärt uns Nicole Fretz, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Fachstelle Stadtteilentwicklung beim Präsidialdepartement Basel-Stadt.
Jerusalem Ilfu: Neu soll zwischen einer Anhörung und einem weiterführenden Partizipationsverfahren unterschieden werden; können Sie das erläutern?
Nicole Fretz: Bei einer „Anhörung“ hat die Verwaltung eine Vorarbeit geleistet und sie stellt das geplante Vorhaben der Öffentlichkeit vor, das heisst zum Beispiel bei einer Platzgestaltung, dass sie eine Variante oder verschiedene Varianten der geplanten Platzgestaltung präsentiert. Im nächsten Schritt wird die Quartierbevölkerung angehört, was sie zu diesen Überlegungen meint. Man gibt der Bevölkerung quasi eine Stimme, nicht nur den Planern. Diesen Vorgang bezeichnet man als eine „Anhörung“.
Bei einem weiterführenden Partizipationsverfahren geht es darum, Anliegen abzuholen und zu erfahren, was die genauen Bedürfnisse der Bevölkerung sind. Nehmen wir an, es wird ein neuer Park gestaltet, dann kann ich die Bevölkerung direkt nach ihren Bedürfnissen und Anliegen befragen, ohne dass ich mir bereits Gedanken gemacht habe, wie das Projekt genau aussehen soll. Oder die Quartierbevölkerung kann im Verlauf eines Projekts zum Beispiel in einer Begleitgruppe, das Projekt mit den Planenden weiterentwickeln. Es entsteht ein intensiverer Austausch, indem die Dinge zurückgespiegelt und vielleicht nochmals angepasst werden. Die Methoden und auch das Verfahren werden von Fall zu Fall entschieden und der Zielsetzung angepasst.
Was sind die Voraussetzungen für eine gelingende Partizipation und wie kann diese konkret umgesetzt werden?
Man muss im Konkreten zuerst die Rahmenbedingungen klären, aber auch das Ziel. Was will ich eigentlich mit der Partizipation erreichen? Von den Rahmenbedingungen und vom Ziel hängt ab, was für ein Verfahren und welche Methoden angewendet werden. Das Gesetz gibt nur den Rahmen vor, in dem es definiert, was die Voraussetzungen für eine Partizipation sind, wie diese ablaufen soll, wie informiert wird und wie Ergebnisse kommuniziert werden. Jetzt muss man in einem zweiten Schritt gewisse Punkte noch näher spezifizieren, und daran arbeiten wir. Im 2024 soll ein angepasster Leitfaden veröffentlicht werden. Zusätzlich möchten wir die digitale Partizipation vorantreiben, dadurch können wir auch andere Zielgruppen erreichen.
Was ist das Ziel des ParG? Und was ist anders als vorher?
Gemäss § 55 der Kantonsverfassung soll die Quartierbevölkerung in den Meinungs- und Entscheidungsprozess der Behörden einbezogen werden. Dies in Belangen, die sie besonders betrifft. Bis anhin setzen die Verordnung vom 22. Mai 2007 sowie der Leitfaden zur Mitwirkung der Quartierbevölkerung in der Stadt Basel diesen Auftrag um. Der Grosse Rat hat am 10. Mai 2023 das neue Gesetz über die Partizipation der Quartierbevölkerung beschlossen. Mit dem Gesetz und im angepassten Leitfaden soll künftig für alle geklärt sein, was unter informeller Partizipation zu verstehen ist, was die Voraussetzungen sind, wie die Abläufe funktionieren, wie die Zuständigkeiten verteilt sind, welche Rechte und Pflichten die Beteiligten haben und wie kommuniziert wird. Das Gesetz schafft somit eine grössere Verbindlichkeit sowie mehr Klarheit und Transparenz.
Kann die Quartierbevölkerung nach dem neuen Gesetz bei den Behörden eine Partizipation beantragen? Und könnte sie, falls ein Antrag auf Durchführung einer Partizipation abgelehnt wird, Rekurs einlegen?
Ja, der Anstoss für eine Anhörung oder einen Partizipationsprozess kann von Seiten Behörden oder von Quartierseite erfolgen. Die Quartierbevölkerung kann bei der Fachstelle Stadtteilentwicklung einen Antrag auf Durchführung einer Partizipation stellen. Allerdings erfolgt die Antragstellung über eine Quartierorganisation, um sicherzustellen, dass das Anliegen eine Relevanz aufweist und von anderen Quartierakteuren geteilt wird. Die für ein Planungsvorhaben zuständige Behörde entscheidet dann, ob und in welcher Form eine Partizipation durchgeführt wird. Im neuen Leitfaden wird geregelt sein, wie Antragsstellende bei einem ablehnenden Entscheid Rekurs einlegen können.
Wie gross ist der Handlungsspielraum der Partizipation, wenn im Gesetz geschrieben steht, dass die zuständige Behörde prüft, ob die Voraussetzungen für eine Partizipation gegeben sind?
Die Möglichkeit mitzuwirken hängt vom Projekt ab. Der Bevölkerung ist zudem oft nicht klar, dass sich das Gesetz und die Kantonsverfassung nur auf kantonale Vorhaben beziehen. Das führte wie z. B. beim Parkhaus-Projekt des UKBB unter der Tschudimatte zu grossen Missverständnissen. Ein Partizipationsverfahren durch den Kanton war damals nicht möglich, weil das UKBB ein privater Akteur ist. Die Partizipation bei Vorhaben Dritter ist auch ein Punkt, der im Gesetz und im Leitfaden geregelt wird.
Kann das neue Gesetz einen Machtmissbrauch verhindern?
Mit dem Gesetz kann man Machtverhältnisse nicht einfach aus der Welt schaffen, aber man kann Prozesse institutionalisieren und dafür sorgen, dass die Chance, dass Menschen partizipieren können, möglichst gross ist.
Wo stösst die Partizipation an ihre Grenzen?
Partizipation heisst nicht, dass jedes Anliegen, das geäussert wird, auch automatisch umgesetzt wird. Man kann sich auch bei einer Parkgestaltung einen riesigen Turm mit einer Rutschbahn wünschen oder etwas anderes Unrealistisches, wie z. B. eine Rampe für die Raumfahrt. Das ist vielleicht das grosse Missverständnis. Partizipation heisst, dass man Anliegen einbringen kann, diese von der Verwaltung seriös geprüft werden und man eine Rückmeldung erhält, weshalb ein Anliegen aufgenommen oder eben nicht aufgenommen wird. In vielen Fällen sind die Anliegen der Bevölkerung deckungsgleich mit den Absichten der Behörden. Sie unterscheiden sich zum Teil gar nicht so stark von dem, was die Planer vorhaben. Das hängt ein bisschen vom Projekt ab. Wenn ich eine Parkumgestaltung habe, habe ich doch relativ viele Freiheiten, Meinungen anderer miteinzubeziehen und umzusetzen. Wenn ich ein Strassenumbauprojekt habe an einer viel befahrenen Strasse, wie z. B. die Missionsstrasse, dann sieht es anders aus. Da gibt es relativ viele gesetzliche Vorgaben, wie z. B.: Wie weit darf jetzt ein Fussgängerstreifen vom nächsten entfernt sein? Wie breit müssen die Fahrspuren sein usw. Insofern ist die Möglichkeit mitzuwirken da kleiner. In solchen Fällen bestimmen die zuständigen Behörden, ob ein Partizipationsverfahren überhaupt sinnvoll ist,
Gibt es gute Beispiele für partizipative Projekte, bei denen die Bevölkerung Einfluss auf das Endergebnis hatte? Können Sie ein Beispiel nennen?
Wir haben die Arealentwicklung Volta Nord, wo aktuell ganz viel passiert und in Bewegung ist. Das war ein sehr langes Verfahren, in der ersten Phase sind viele Anliegen der Bevölkerung aufgenommen worden, wie z.B. die Trennung von Gewerbe und Wohnen, dass dort mehr Sportmöglichkeiten vorhanden sind, dass man sich einen Park wünscht. Diese Anliegen konnten alle berücksichtigt werden.
Wie verschaffe ich mir einen Überblick über die partizipativen Projekte in Basel-Stadt?
Man kann sich direkt an das zuständige Stadtteilsekretariat wenden. Zukünftig soll eine Webseite einen Überblick verschaffen, die 2024 aufgeschaltet werden soll.
Herzlichen Dank für das Gespräch!