Dem Kreuzweg entlang spazieren wir zum von vielen Legenden umwobenen Ort.
Im Zentrum von Wentzwiller, einem hübschen Dorf unweit von Folgensbourg, gibt es einen Wegweiser mit der Ortsangabe «Aux trois vierges». Er führt zu der idyllischen Lichtung «Im langen Holz» im Wald zwischen Wentzwiller und Hagenthal, wo im Schatten von Buchen die Grabstätten von drei wundertätigen Jungfrauen liegen. Über die Herkunft der drei Frauen ist nichts Genaues bekannt; laut der Überlieferung sollen sie hier in der Einsamkeit fromm gelebt und Gutes getan haben, bevor sie von Unbekannten ermordet wurden. Der vom Blut der drei Frauen gerötete Wallbach soll den Bewohnern von Wentzwiller die Untat verraten haben. Sie bestatteten die drei Frauen mit allen Ehren im Wald, und im Laufe der Zeit entwickelte sich eine lebendige Wallfahrt zu diesem Ort. Votivgaben und Bilder, die in alten Schriften beschrieben sind, berichten von Hilfe bei Gehbehinderungen und Zahnschmerzen, aber auch Wöchnerinnen suchten hier Beistand.
Im 19. Jahrhundert wollte der Pfarrer von Wentzwiller mit der Legende aufräumen. Er liess die Gräber unter den Buchen öffnen und fand zu seinem Erstaunen drei Skelette, die er auf den Friedhof überführen liess. Nach der Bestattung begann ein sintflutartiger Regen, der erst aufgehört haben soll, als die drei Eremitinnen wieder an ihrem alten Platz im Wald lagen.
Eine ganze Reihe von Legenden rankt sich um diese Geschichte – man kann sie am Grab nachlesen. So werden die drei Frauen unter anderem mit der heiligen Ursula in Verbindung gebracht, Tochter eines bretonischen Königs, die auf der Rückkehr von einer Pilgerfahrt nach Rom mit ihren zehn Gefährtinnen (daraus wurden später wohl durch einen Lesefehler elftausend Jungfrauen) im 4. Jahrhundert bei Köln von den Hunnen umgebracht wurde. Einige der Begleiterinnen sollen sich bereits in Basel abgesetzt haben (das Elftausendjungferngässlein, das vom Rheinsprung zur Martinskirche hinauf führt, erinnert daran), und diese sollen sich als Klausnerinnen niedergelassen haben auf St. Margarethen, St. Chrischona und St. Ottilia am Tüllingerberg.
Im Lauf der Jahrhunderte hat sich die Geschichte immer weiter entwickelt und ist durch fantastische Zutaten bereichert worden. So bringt man im Dorf die drei Frauen auch mit Einbeth, Wilbeth und Worbeth in Verbindung, deren Reliquien in der Kirche Saint-Pierre-le-Vieux in Strassburg aufbewahrt werden. Von hier aus soll sich deren Verehrung weiter verbreitet haben, wie beispielsweise nach Adelwil im Kanton Luzern. Dort steht eine Kapelle, die aus Strassburg eine Reliquie erhielt. Selbst im Dom von Worms erscheinen diese drei Frauen, gekrönt als überlebensgrosse Skulpturen, obwohl sie nie heiliggesprochen wurden.
Weit verbreitete Dreigestalt
Es gibt eine grosse Zahl von heiligen Orten, an denen eine Frauen-Dreiheit verehrt wird. Man nimmt heute an, dass diese Dreigestalt auf vorchristliche Kultstätten in ganz Europa hinweist. Auch in Altkirch beispielsweise stand 1509 ein Altar der drei Jungfrauen Kunigundis, Mechtundis und Wibrandis, die man seit 1190 auch in Eichsel oberhalb Badisch Rheinfelden verehrt. Dieser kleine Wallfahrtsort hat durch das Interreg-Projekt «Mythische Orte am Oberrhein» (www.mythische-orte.eu) das Sundgauer Dorf Wentzwiller als gleichgesinnten Partner entdeckt. Seither pflegen die beiden Orte die Freundschaft über Landesgrenzen hinweg, speziell am Wallfahrtstag im Juli, wenn der traditionelle «Eichsler Umgang» auf bunten Blumenteppichen als Volksfest gefeiert wird.
Edith Schweizer-Völker