Urbanität und Lebensgefühl im Lysbüchel-Süd

Rudolf Lüthi-John auf der Terrasse des Café Claire – mit Blick auf die neue Passerelle für Schulkinder und die Baustellen von Volta Nord.

Was machen moderne städtebauliche Konzepte mit Menschen, die im Lysbüchel Süd arbeiten? Das wollte Claudia Wirthlin fürs mozaik von Rudolf Lüthi-John wissen.

An einem sonnigen Herbstnachmittag treffe ich den pensionierten Musiklehrer auf der Terrasse des Café Claire zum Gespräch. Er hat seit Januar 2024 einen der sieben «Übungsräume für laute Instrumente» im Haus Weinlagerstrasse 11 gemietet. Schelmisch meint er, seine laute E-Gitarre habe ihm grosses Glück beschert und neue Möglichkeiten eröffnet. 

Rudolf Lüthi-John ist ausgebildeter klassischer Gitarrist. 39 Jahre lang hat er an der Musik-Akademie Basel unterrichtet, wo in den letzten Jahren immer mehr die E-Gitarre nachgefragt wurde. Nach einer Weiterbildung an der Jazzschule wurde seine Freude an diesem Instrument immer grösser, er unterrichtete, tat sich mit anderen Musikern zur Band «Luthi John & Friends» zusammen. Die vielen Solokonzerte, die er mit klassischer Gitarre im Lauf der Jahre gegeben hatte, hatten ihn immer weniger befriedigt. Er wollte mit andern zusammen etwas entwickeln, und das war eben besser möglich mit der lauten E-Gitarre.

Das Inserat im Newsletter der Stiftung Habitat sprach ihn sofort an. Nach seiner Pensionierung an der Musik-Akademie, wo ihm jahrelang die ganze Infrastruktur zur Verfügung gestanden hatte, und einem ersten etwas missglückten Miet-Experiment bei der Sternwarte war er auf der Suche nach einem Übungsraum. Und es klappte. 

Studios im Untergeschoss

 Übungsraum im dritten Untergeschoss, Weinlagerstrasse 11

Vom sonnigen Café Claire führt mich Lüthi-John ins stockdunkle dritte Untergeschoss des ehemaligen Coop-Weinlagers. Wir betreten eine hohe Halle: künstliches Licht, dicke Rohre an der Decke, nackte Beton-Stützpfeiler. Unterteilt ist die Halle durch eine Art grosse Würfel aus hellem Sichtbackstein mit dunklen Türen: Das sind die Einzelstudios für sieben Musiker:innen. Inwendig ausgestattet mit wabenartig angeordneten Holzplatten an den Wänden, schlichtem Holzboden, dunkelgrauen Wänden. Es sei alles da, gleichzeitig sei nichts überflüssig, Akustik und technische Infrastruktur seien von hervorragender Qualität, meint er.

Rudolf Lüthi-John in seinem Reich im ehemaligen Coop-Weinlager

Ob er sich nicht einsam und eingesperrt fühle in diesem Kabäuschen ohne Fenster und Tageslicht, frage ich ihn leicht irritiert. Ich denke daran, wie wichtig für mich das Tageslicht und der schweifende Blick aus dem Fenster sind, wenn ich beim Schreiben am Tisch sitze und meinen Gedanken nachhänge. Seine Antwort kommt prompt: «Nein, keineswegs.» In diesem fast schon intimen Raum könne er sich voll und ganz auf die eigenen Projekte konzentrieren, könne stundenlang ganz allein die gleiche Passage üben, wenn ihm danach sei. Struktur, Ausstattung und Ästhetik des Studios schaffe für ihn einen äusserst inspirierenden Raum, in dem er sich keineswegs eingeschlossen oder begrenzt fühle, sondern im Gegenteil geistig sehr frei. Er geniesse die Freiheit und das Alleinsein, nehme aber auch ein Stück Gemeinsamkeit unter Gleichgesinnten wahr. Die Kontakte zu den Kolleg:innen seien unkompliziert, man treffe sich in der gemeinsamen Küche oder im Lounge-Bereich. 

Tolle Nachbarschaft

Kurz nach dem Einzug habe er etwas Tolles erlebt: Sein eigenes grosses Klavier habe er aus Platzgründen beim Studionachbarn einstellen dürfen. Dieser habe Lüthi-John kurzerhand den Schlüssel anvertraut, damit er jederzeit in dessen Abwesenheit darauf spielen könne. Dieser grosse Vertrauensbeweis habe viel zu seinem Wohlsein im Haus beigetragen.

Auch das Café Claire im Erdgeschoss ist für Lüthi-John ein wichtiger Teil des Gemeinschaftlichen, des Austauschs. Die Atmosphäre im Haus insgesamt nimmt er als freundlich und respektvoll wahr. Er fühlt sich durch den industriellen Charakter des Hauses und der Umgebung zusätzlich angespornt: Hier habe er richtig Lust, etwas zu schaffen, aktiv zu sein. In dieser lebhaften Umgebung laufe ständig etwas. Kinder auf dem Heimweg aus dem benachbarten Schulhaus zögen lärmend vorbei, Eltern ständen in Gruppen beisammen, auf dem Beckenweg sei ein reges Kommen und Gehen.

So gesehen entspricht das Projekt Lysbüchel Süd den Idealvorstellungen Lüthi-Johns von einem lebendigen Quartier in einer attraktiven Stadt. Keine biederen Ein- oder Mehrfamilienhäuser in sogenannt ruhigen Quartieren, wo auf den Strassen viel Platz für parkierte Autos statt für Kinder vorhanden ist. Nein, das wäre nichts für Lüthi-John. Er braucht zum Atmen und Arbeiten eine anregende Umgebung.  Auch nach der Pensionierung als Musiklehrer will er sich als Musiker weiterentwickeln, neue Erfahrungen machen, neugierig und offen sein für neue Trends, sich austauschen mit jüngeren Menschen. Lachend erklärt er: «Als Musiker ist man eben nie pensioniert.»

Text und Bilder: Claudia Wirthlin

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