Aufbrüche – ohne Ende

Es gibt verschiedene Gründe, weshalb Menschen Turnschuhe über Telefondrähte werfen. Manchmal ist es Ausdruck eines Aufbruchs. (Foto: Catherine Merz)

Wir leben in einer bequemen Welt. Auch mit wenig Geld lässt es sich okay fühlen in der Komfortzone der nördlichen Hemisphäre. Dies ist der erste Gedanke, wenn ich versuche meine Erinnerung an Amadeus aufzuschreiben. 

Obdachlos

Er kam an einem regnerischen und kalten Novemberabend in unsere monatliche gewerkschaftliche Sitzung und sagte vorerst kein Wort. Er litt an Unterkühlung und musste sich zuerst aufwärmen. Ein Mitglied von uns hatte ihn auf der Strasse angetroffen und ihm unsere Adresse gegeben.  

Wie es sich herausstellte, war er, von Frankreich kommend, seit ein paar Tagen hier in Basel und schlief draussen. Er war aus seinem Heimatland in Afrika nach Paris gereist. Seine Heimat: ein rohstoffreiches Land, aber für viele Einwohner bettelarm. Zudem gehörte er einer Volksgruppe an, die in der Opposition immer wieder Schikanen und Verfolgungen erleiden musste.

Noch am besagten Abend konnte jemand eine Unterkunft für ihn besorgen, was ein grosser Glücksfall war. Amadeus lebte sich rasch ein und nahm schnell mit verschiedenen Organisationen Kontakt auf. 

Freiwilligenarbeit

Er begann sich an verschiedenen Orten zu engagieren. Doch sein undokumentierter Status und seine Abhängigkeit von Hilfe zum Überleben machte ihn immer nervöser, bis er sich als Asylbewerber anmeldete. Nun hatte er zumindest Papiere und kam von einem Lager ins nächste. Am Schluss war er in einer kleinen Gemeinde in den Bergen im Appenzell. 

Sein Gesuch als Flüchtling anerkannt zu werden, wurde nach mehreren Monaten abgelehnt. Zurück in sein Heimatland wollte er auf keinen Fall. So tauchte er unter. 

Perspektive Studium

Er fand eine kleine Arbeit und schrieb sich als Hörer an der Universität ein. Er wollte hier seinen Masterabschluss in Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Migration machen. Dazu liess er sich aus seinem Herkunftsland seine Abschlüsse schicken. Die Uni akzeptierte seine Zulassung, sofern er eine Bewilligung zum Studieren vorweisen kann. Da kam es im Haus, in dem er wohnte, zu einer Bluttat. Alle Bewohner:innen wurden überprüft. Er konnte kein Aufenthaltspapier vorweisen und wurde an die Grenze ins Gefängnis verbracht. 

Ausschaffungsgefängnis

Da er nun schon längere Zeit hier in der Schweiz lebte, konnten ihn die Behörden nicht mehr nach Frankreich abschieben. Man suchte eine Möglichkeit, ihn in sein Heimatland auszuschaffen. 

Gleichzeitig machte sich ein Freundeskreis daran, sein Lebensunterhalt zu garantieren und um eine Aufenthaltsbewilligung nachzusuchen. Dank vieler Hilfen von verschiedener Seite bekam er schlussendlich die Aufenthaltserlaubnis zum Studieren.

Masterstudium   

Nun begann ein geregeltes Leben. Amadeus studierte fleissig, besuchte Deutsch- und Englischkurse und arbeitete nebenbei. In seiner Heimat kam es zu einem Machtwechsel. Es schien, dass mehr Freiheit  für seine Volksgruppe und alle anderen Menschen in Sicht war. Nach zwei Jahren konnte er erfolgreich seinen Master entgegennehmen. Jetzt hatte er ein halbes Jahr Zeit eine Stelle zu finden, um in der Schweiz bleiben zu können.

Arbeitssuche

Es war ein Wettrennen mit der Zeit, das er verlor. Die Bestimmungen verlangten, dass er eine Zusage für den Stellenantritt vorweisen kann. Für die Arbeitgeber war dies zu schwierig. So musste er sich von neuem vollständig umorientieren. Auf keinen Fall wollte er wieder untertauchen. Er bewarb sich um eine Chancenkarte für eine Arbeit in Deutschland. Doch das geht nur, wenn das Gesuch aus Afrika eingereicht wird. So plante Amadeus eine Rückkehr. 

Zurück in der Heimat

Das Los der Rückkehrer aus der Diaspora mit leeren Händen war ihm aus seinen Studien über die  Migration wohlbekannt. Ebenso der Mentalitätswandel durch den langen Aufenthalt im Ausland. Zurzeit kämpft Amadeus um die Realisierung eines Projektes, in das er seine Erfahrungen und Kenntnisse einbringen kann. 

Hans-Georg Heimann

Schreibe einen Kommentar