Die grosse Rheintunnel-Illusion

Blick in eine Tunnelröhre (Illustration Björn Slavik)
Der Rheintunnel verschlingt riesige Summen und verhindert dauerhaft die nötige Verkehrswende für mehr Lebensqualität und Klimaschutz in der Region. (Illustration: Björn Slavik)

Liefert die Politik nachhaltige Verkehrslösungen in Zeiten des Klimanotstandes? Fehlanzeige! Die Bürger:innen sind gefragt.

Augen und Ohren zu verschliessen, wenn es heisst, wach und aufmerksam zu sein, hilft in Zeiten des Umbruchs nicht weiter. Genau dieser Eindruck drängt sich derzeit auf, wenn es um den neuen Basler Rheintunnel geht. Zur Erinnerung: Seit 2019 befindet sich Basel-Stadt im Klimanotstand. Im November 2022 stimmte die Stimmbevölkerung dem Gegenvorschlag zur «Klimagerechtigkeitsinitiative» zu, die eine Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2037 auf netto null vorsieht. Das grösste regionale Verkehrsprojekt aller Zeiten im Umfang von 2,4 Milliarden Franken wirkt vor dem Hintergrund wie aus der Zeit gefallen.

Projektumfang und Versprechen

Die beiden Haupttunnelröhren mit je zwei Spuren erweitern von der Wiese bis zum Portal Birsfelden die bestehende Osttangente. Sie sollen 3,6 und 3,8 Kilometer lang werden und verlaufen rund 18 Meter unterhalb des Rheingrunds hindurch. Gigantische Mengen an Erde müssen bewegt und Beton und Stahl im Untergrund vergraben werden, damit Auto- und Lkw-Verkehr sicher unterirdisch fahren können.

Der Rheintunnel, so das Versprechen, soll primär vom Transitverkehr benutzt werden und die bestehende Osttangente von den regionalen Pendlerströmen. Dies soll zu einer Entlastung der Region und der durch den Verkehr belasteten Quartiere führen.

Herausforderungen und Folgen des Projektes

Eine Erhöhung und Verbesserung von Strassenkapazitäten z. B. durch den Ausbau der Autobahn hat zur Folge, dass mehr Auto- und Lastwagenverkehr und mehr Umweltschäden entstehen. Denn 75 bis 80 Prozent des Verkehrs auf der Osttangente ist regionaler Verkehr der Agglomeration Basel. Wenn die Strassenkapazitäten ausgebaut werden, steigen mehr Menschen aufs Auto um oder ziehen immer weiter in die Agglomeration, von wo sie mit dem Auto ins Zentrum pendeln. Das ist eine weltweit immer wieder bestätigte Tatsache. Verkehrsplaner:innen nennen das Verkehrsverursachung (Induktion). Folglich werden die Gemeinden der Agglomeration und die Basler Quartiere sogar mit noch mehr Autoverkehr belastet, weil noch mehr Menschen mit dem Auto in die Stadt pendeln. Und es kommt noch dicker: Weil die Osttangente nicht zurückgebaut werden soll, wird der lokale Autoverkehr weiter forciert und munter in die Quartiere verteilt.

Für die direkten Anwohner:innen der Baustelle entsteht zudem viel Lärm und es kommt zu  Einschränkungen während der mindestens zehnjährigen Bauphase. Nicht zuletzt reduziert der Tunnel die Lärmbelastung der Anwohner:innen der Osttangente nicht, da wirksamer Lärmschutz fehlt.

Der besonders CO₂-intensive Bau und Betrieb des Tunnels steht in eklatantem Widerspruch zu  den Basler Klimazielen. Zudem droht die Zementierung der heutigen ineffizienten Verkehrssysteme mit einer starken Privilegierung des motorisierten Individualverkehrs, der derzeit für rund 30 Prozent des CO₂-Ausstosses verantwortlich ist.

Hausgemachte Verkehrsprobleme

Der Grossteil des Verkehrsaufkommens auf der Autobahn ist regionaler Verkehr. Da fragt sich: Warum wird nicht klar auf eine Vermeidung des umweltschädlichen Verkehrsverhaltens gesetzt? Warum wird der Autoverkehr nicht auf umweltfreundliche und effiziente Systeme verlagert, durch den Ausbau und die Erweiterung des öffentlichen Nahverkehrs sowie von sicheren Velo-Vorzugsrouten? Eine Strategie, die fortschrittliche Städte wie Paris, Kopenhagen oder Amsterdam schon seit vielen Jahren verfolgen. Mit gutem Grund wäre das auch eine Lösung für Basel und die Schweiz. Denn die Berufspendler fahren in der Schweiz im Durchschnitt pro Arbeitsweg nur 14 km. Zudem sind rund 40 Prozent aller Autofahrten Freizeitfahrten. Allein die Vermeidung oder Verlagerung auf umweltfreundliche Alternativen könnte eine Reduktion dieses Verkehrs um mehr als die Hälfte bringen. Ein Tunnel wäre also obsolet.

Verkehrsverdunstung möglich …

Bei vielen Verkehrsexpert:innen ist inzwischen unbestritten: Verkehr muss vermieden werden, um die negativen Folgen der Mobilität in den Griff zu bekommen. Ein Teil des Verkehrs verschwindet schlicht, wenn die Verkehrssituation sich verändert. Er weicht nicht auf alternative Strecken aus. Dies wurde kürzlich auch durch eine Doktorarbeit von Pauline Hosotte an der ETH Lausanne (EPFL) nachgewiesen. Das Phänomen heisst Verkehrsverdunstung. Es ist auch in der Realität vielfach nachgewiesen, so z. B. bei der Etablierung von Superblocks in Barcelona, wo die angrenzenden Strassen nicht mehr Verkehr registrieren.

Die Arbeit hat die Veränderbarkeit des Verkehrsaufkommens bestätigt. Das bedeutet, dass sich die starke Automobilisierung der letzten 50 Jahre korrigieren lässt, wenn sich gesellschaftlich und politisch die Erkenntnis durchsetzt, dass es nachhaltigere Arten des Verkehrsverhaltens gibt.

aber handeln? Fehlanzeige

Es ist doch eigenartig: Die scheinbare Lösung ist also die Ursache der Verkehrsprobleme von morgen. Die handelnden Akteur:innen in der Verwaltung und Politik sind allerdings entweder noch in alten automobilen Denkmustern gefangen oder vermeiden Klartext zu reden. Wider besseres Wissen, weil offensichtlich die politischen Abhängigkeiten schweizweit zu gross erscheinen. Es sind also die Bürger:innen gefragt, um für eine Veränderung zu sorgen, die eine nachhaltige Verkehrspolitik ermöglicht.

Björn Slawik