Die letzte Grenze

Gib dem Tod ein Mikrofon (©: Christine Süssmann; suessmanncoaching.ch)

Der Tod ist eine Grenze, die überschritten werden muss. Von uns allen. Wie geht das? Was geschieht da? Und: Was ist jenseits dieser Grenze? 

mozaik-Autor Benno Gassmann sprach mit Personen, die mit Menschen in der letzten Lebensphase zu tun haben.

Das Leben abschliessen

«Die allerletzte Grenze des Lebens muss jeder Mensch allein durchschreiten. Fast alle Menschen im Hospiz waren sich der Tatsache bewusst, dass dies die letzte Station sein wird … doch ‹sterben›war nie das Hauptthema im Haus!», sagt Yvonne, die zehn Jahre in einem Hospiz als Freiwillige gearbeitet hat. «Bei den gemeinsamen Essen wurden Erlebnisse von früher ausgetauscht. Kaum je wurde über die Krankheit gesprochen. Am Bett – Körperpflege, Hilfe beim Essen – war Zuhören wichtig! Die Menschen am Lebensende haben viel zu erzählen, oft stockend. Vorsichtiges Nachfragen: Ist da noch etwas, was Sie erledigen möchten? Jemanden benachrichtigen? Liegt Ihnen noch etwas auf dem Herzen? Unerledigtes, Zwiste in der Familie kamen immer wieder hoch. Eine alte Dame, sehr gläubig, berichtete mir von ihren Albträumen, hatte Angst vor dem Einschlafen. Ich las ihr etwas vor, betete noch mit ihr. ‹Sie waren mein Engel›, meinte sie. Zwei Tage später starb sie. Manchmal habe ich den Übergang miterleben dürfen und war jedes mal überwältigt, ahnte etwas unbestimmt Grosses: ‹Fürchte dich nicht!›».

Marietjie, Pfarrerin einer kleinen christlichen Gemeinde, erinnert sich: «Bei einer Frau, die sehr krank war, und auch über das Sterben gesprochen hat, habe ich im Nachhinein gedacht, da hätte ich vielleicht noch offener darauf eingehen können. Doch wollte ich ihr nicht die noch vorhandene Lebendigkeit absprechen. Denn sie sprach auch über das, was sie noch macht und vorhat. Als Pfarrerin biete ich schon an, dass der Glaube Hilfe geben kann, an diese Grenze zu gehen. Es ist schwierig, in Worte zu fassen, was da passiert. Der Glaube nimmt das nicht weg. Aber er gibt so was wie ein Geländer, um mich nicht verloren zu fühlen in dem, was vielleicht ein Abgrund oder etwas Grosses vor mir ist. Ich muss mich nicht fürchten, hineingezogen zu werden.» 

Wie habe ich mein Leben gelebt?

Marietjie: «Ich erlebe das Rückschauen auf das, was erlebt wurde, Dankbarkeit für das, was schön war. Oft sehr berührend, eine Art Zeugnis über das eigene Leben. Einmal habe ich mit jemandem gesprochen, der immer wieder von schlechten Erlebnissen sprach: Streit mit der Familie, mit einem Kind. Weil ich wusste, dass er lange keinen Kontakt hatte mit ihm, habe ich ihn gefragt: «Willst Du so sterben?». Daraufhin hat er seinen Sohn angerufen und mit ihm gesprochen. Im Gespräch mit den direkt Betroffenen habe ich gemerkt, es war total wichtig, dass der Vater nicht gestorben ist, ohne das zu klären. Bei Hinterbliebenen bleiben oft noch unerledigte Konflikte zurück. Das kann man oft nicht ansprechen. Da bleibt es unverarbeitet. Der Tod löst etwas aus, man geht entweder hinein, oder man blockt ab.»

Über den Tod reden – bringt das etwas?

Der Tod ist Endpunkt. Der Weg dahin ein Prozess der Auflösung von Körper und Ego, ein Versinken in die letzte Grenze. Kann darüber gesprochen werden? «Wer sich aufs Sterben freut oder beim Tod anderer Menschen entspannt bleibt, braucht vielleicht keine Worte», meint Christine, Expertin für Kultur und Praxis zum Tod, die mir das Bild «Gib dem Tod ein Mikrofon» gab. Ihr Kommentar dazu: «Die meisten Menschen haben keine solche Gelassenheit. Manche kommen mit einem Todesfall lange nicht zurecht. Warum fällt es schwer, darüber zu reden? Ein Punkt ist – alle sind betroffen. Und viele tragen in Bezug auf den Tod einen Schmerz oder eine Angst in sich, vielleicht unbewusst. Ein unbefangenes, zielführendes Gespräch ist schwierig, wenn beide Seiten getriggert sind. Trotzdem finde ich auch unbeholfenes Reden nützlicher als das Schweigen. Erst wenn wir das Unangenehme in die Sprache bringen, können wir uns dazu verhalten. Vorher nicht. Ich finde es hilfreich, hemmungslos konkret zu werden, dann gehen die interessanten Türen auf.» 

Ist es nicht auch so im gelebten Leben davor?

Benno Gassmann

Gesprächspartnerinnen und Illustration

Marietjie Odendaal, Pfarrerin der EMK Kleinbasel

marietjie.odendaal@methodistinnen.ch

Yvonne Schmid-Angst, mozaik-Mitarbeiterin

y_schmid@gmx.ch

Christine Süssmann, Kulturwissenschaftlerin und Coach, 
www.suessmanncoaching.ch