Engagement macht glücklich

Grossratspräsident Bülent Pekerman erklärt dem mozaik, weshalb er Politik macht und was er davon hat. 

Du engagierst dich stark in der Politik. Was treibt dich an?

Erstens: Aus historisch-politischen Gründen ist es so, dass die Kurdischstämmigen immer einen «Touch» zur Politik haben. So fanden z. B. in meinen ersten Jahren in der Schweiz am Esstisch meines Elternhauses immer wieder politische Diskussionen statt. Mit Fokus auf die alte Heimat! Im Gegensatz zu meinen Eltern habe ich früh realisiert, dass wir nicht irgendwann in die alte Heimat zurückkehren würden, sondern dableiben! Mein Fokus war dann auf die Politik der neuen Heimat gerichtet.  

Zweitens: Ich habe Freude daran, etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun. Wenn man sich für ein Ziel einsetzt und es dann erreicht, gibt es einem eine gewisse Genugtuung. Es macht glücklich! 

Wie würdest du jemanden davon überzeugen, sich für die Öffentlichkeit zu engagieren? 

Wer etwas ändern oder bewegen möchte, soll, anstatt zu motzen, sich einbringen und aktiv daran arbeiten. In den letzten Jahren haben wir dank der Klimajugend einen Trend, dass vermehrt Jugendliche in der Politik mitmachen. Seit den letzten Wahlen ist das Basler Parlament jünger, weiblicher und diverser geworden. Die Stossrichtung stimmt also. 

In meinem Präsidialjahr habe ich vor, Menschen aus verschiedenen sozialen und kulturellen Bereichen, aber auch die Jugend in den Grossen Rat einzuladen und ihnen das Wort zu erteilen. 

Muss man in einer Partei sein, um sich politisch zu engagieren?

Nein, nicht unbedingt. Es gibt viele Vereine zu verschiedenen politischen Themenbereichen. Man könnte sich politisch in einem Verein fürs Gemeinwohl einsetzen. Um nur ein Beispiel zu geben: Im Verein mitstimme.ch können sich sogar Einwohner:innen ohne den Schweizerpass politisch einbringen. Der Verein organisiert alle zwei Jahre die sogenannte «Migrant*innensession» im Grossratssaal. Im Vorfeld der Session bilden die Migrant:innen verschiedene Arbeitsgruppen und bereiten diverse Vorstösse vor. Sie werden dabei von Parlamentarier:innen begleitet. Am Sessionstag debattieren die Migrant:innen und stimmen darüber ab. Ein Superbeispiel für die Förderung der politischen Partizipation der Migrant:innen.

Wenn jedoch jemand in der Politik direkt mitreden will, dann ist das am wirkungsvollsten in einer Partei möglich. Noch besser als Amtsträger einer Partei. In der Politik läuft aber nicht alles so schnell. Nicht von heute auf morgen. Wer das Gefühl hat, man könne schnell etwas verändern, wird auch schnell enttäuscht sein.

Und wenn dich jemand fragt: Wo soll ich mich engagieren? Wo brennt es?

Jede(r) von uns hat irgendwelche Interessen und steht ideologisch irgendwo zwischen ganz rechts bis ganz links. Wer sich für den Umweltschutz interessiert, politisiert in der Regel bei den Grünen. Wer sich für die Wirtschaft einsetzen will, ist eher bei der FDP. Wer sich sowohl für den Umweltschutz als aber auch für starke Wirtschaft interessiert, ist bei den Grünliberalen richtig am Platz. So war’s in meinem Fall, als ich vor 16 Jahren die Parteiprogramme aller Parteien studiert und mit Leuten aus diesen Parteien gesprochen hatte. Man findet sicher eine für sich geeignete Partei.

Sind die Menschen mit Migrationshintergrund genug repräsentiert in der Politik?

Im Vergleich mit den anderen Kantonen ist die Repräsentation in Basel-Stadt zwar viel besser, aber gemessen am Anteil der Bevölkerung bräuchte es mehr. Etwa 38 Prozent der Bevölkerung in unserem Kanton haben keinen Schweizerpass. Zählt man die Eingebürgerten dazu, liegt der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund über 50 Prozent. Der Grosse Rat bildet diese Tatsache nicht ab. Ich hoffe, dass meine Wahl zum Grossratspräsidenten viele Mitbürger:innen motivieren wird, sich ebenfalls politisch zu engagieren.


Bülent Pekerman

Bülent Pekerman während seiner Antrittsrede mit dem Modell eines DeLorean. (Foto: Michael Fritschi/BS)
Bülent Pekerman während seiner Antrittsrede mit dem Modell eines DeLorean. (Foto: Michael Fritschi/BS)

Bülent Pekerman, 45, lebt, arbeitet und politisiert seit vielen Jahren in Basel. Im Januar wurde er zum Grossratspräsidenten fürs Jahr 2023 gewählt. Er ist Mitglied der Grünliberalen Partei (GLP), kennt aber auch die Schwierigkeiten kleiner Organisationen gut, die sich fürs Gemeinwohl engagieren. Zum Interview hat er uns ins Lokal des Kulturvereins Kelhasan an der Neuhausstrasse in Kleinhüningen eingeladen. Der kurdische Heimatverein teilt sein Lokal mit dem Jugendzentrum «Chillout». Nur so kann er sich überhaupt die Miete von 1650.— Fr. pro Monat leisten. Aber: Bis Ende August müssen die beiden Vereine das Lokal verlassen und einen neuen Ort finden. Die Zürcher Steiner Investment Foundation hat das Areal gekauft und will es nun entwickeln. Das Jugendhaus «Chillout» ist schon länger auf der Suche nach einem festen Standort (siehe mozaik 1/2022: «Räume finden für Jugendliche – schwierig in Kleinhüningen»). 


Politik ganz kurz

Was sagt Bülent Pekerman zu Themen, die uns im Kleinbasel und St. Johann beschäftigen? 

Gentrifizierung

Es soll in jedem Stadtteil auf eine ausgewogene Durchmischung geachtet werden. Das ist sehr wichtig für die Integration der Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten und schliesslich für das friedliche Zusammenleben.

Topverdienersteuer

Sehr ideologisch geprägtes Thema. Der Kanton ist froh um jeden Steuerzahler. Die Steuern sind dafür da, den Bürgern Dienstleistungen zu erbringen, nicht um Bürger zu «bestrafen». 

Rheintunnel

Ich bin grundsätzlich dafür, dass man den Verkehr unterirdisch führt. Die Nordtangente hat uns gezeigt, dass es sich am Ende für alle lohnt. Die Beeinträchtigung des Dreirosenareals während der Bauzeit bedauere ich sehr, aber man wird es mit Ersatzflächen für die Bevölkerung ausgleichen können.

Superblocks 

Das ist eine Superidee. Ob sie bei uns in Basel funktionieren könnten, ist eine andere Frage. In Barcelona funktionieren solche Blocks recht gut. Bei uns werden bald solche Superblocks getestet. 

Günstiger Wohnraum

Das ist ein wichtiges Thema. Die diesbezüglichen Diskussionen laufen gerade um die Initiative «Basel baut Zukunft». In Basel braucht es Wohnungen für jedes Portemonnaie. In den günstigen Wohnungen sollen aber nur Menschen wohnen dürfen, welche sich hohe Mietzinsen finanziell nicht leisten können. Dennoch ist eine ausgewogene Durchmischung sehr wichtig.  

Fachkräftemangel

Zurzeit ein globales Thema. Wir müssen das im Inland vorhandene Potenzial besser ausschöpfen. Z. B. unter den Migrant:innen und Asylant:innen aus Drittländer gibt es gut qualifizierte Fachleute, da aber ihre Qualifikationen oder Diplome hierzulande nicht anerkannt sind, wird dieses Potenzial nicht wahrgenommen. 

Interview: Matthias Brüllmann und Hans-Georg Heimann

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