Esperanto – die Plan-Sprache sollte dem Weltfrieden dienen

Aus einem Interview mit Roger Winterhalter, 85 Jahre alt, ehemaliger Bürgermeister von Lutterbach im Elsass und Weltbürger seit vielen Jahren.

Roger Winterhalter (Foto: Hans-Georg Heimann)
Roger Winterhalter (Foto: Hans-Georg Heimann)

„In meinen Reden und Interventionen bezeichnete ich mich oft als Weltbürger. Und in meiner Vergangenheit, ganz zentral im Algerienkrieg, wo ich in die französische Armee eingezogen wurde und mich aber für die Gegenseite einsetzte, war ich bereits ein Weltbürger.

Das Motto der Weltbürger heisst: Die Angelegenheiten der Welt sind die Angelegenheiten jedes einzelnen.

Da ich mich oft öffentlich zu meinem Weltbügertum bekannte, wurde ich von Frau Marchan, die eine herausragende Persönlichkeit der Weltbügerbewegung ist, angefragt, ob ich Teil dieser Bewegung werden möchte. Ich kannte diese Bewegung und ihre Strukturen bisher nicht, und so wurde ich Mitglied.

Es gibt den Kongress der Völker, der eine globale Regierung abbilden sollte aus den aktiven und gewählten Weltbürgern. Alle paar Jahre finden Wahlen statt.

Ich wurde gewählt und ein Jahr später wurde ich zum Präsidenten des Kongresses gewählt. So lernte ich diese Bewegung kennen.

Es gibt das Register der Weltbürger, dann gibt die Organisation ‚Weltsolidarität gegen den Hunger‘, welche weltweit solidarische Projekte unterstützt.

Ich nahm immer mehr eine tragende Rolle in dieser Bewegung ein.

Ich lernte die Esperantisten kennen. Offiziell sind sie nicht Teil der Weltbügerbewegung, aber sie sind aktive Mitglieder. Ihr Ziel ist eine universelle Sprache. Ich machte mehrere Male den Versuch Esperanto zu lernen, aber ich hatte zu wenig Zeit dazu. Du kannst wohin auch immer auf der Erde, in den Süden, in den Norden, überall findest du Esperantisten oder eben auch Weltbürger.

An der Anzahl gemessen, sind es vielleicht nicht viele, aber es gibt sie überall. Du gehts nach Belgien und du findest Sie. Das erste Mal als ich nach Senegal ging, nahm ich Kontakt auf mit Weltbürgern von Senegal und sie empfingen mich am Flughafen. Ich konnte bei ihnen wohnen. Ich ging nach Quebek und ich kontaktierte einen Franzosen, der damals im Algerienkrieg den Wehrdienst verweigerte. Auch er empfing mich am Flughafen und ich konnte bei ihm wohnen. In Brasilien waren es Esperantisten, die wir besuchten. Sie haben eine Farm, wo sie ehemals Straffällige aufnahmen. Es gab einen, der hatte eine Fernsehkette, der uns beherbergte. Ansonsten hätten wir nie so lange uns dort aufhalten können. Das Netzwerk existiert weltweit und es soll sich entwickeln. Es gibt Städte, die sich als Weltbürgerstädte deklarierten. Es gilt, die Beziehungen weltweit zu entwickeln, jeder behält seine Originalität. Aber gemeinsam unternimmt man etwas und man sagt sich, dass die Grenzen vorübergehende Phänomene sind, von Kapitalisten der ganzen Welt gesetzt, einfach, um ihre Interessen abzustecken gegenüber anderen. Auch die Gemeinde Luterbach haben wir mondialisiert. Heute, nachdem ich nicht mehr Bürgermeister der Gemeinde bin, ist das komplett vergessen gegangen. Ich habe mehrere Städte so mondialisiert z.B. in Nicaragua die Stadt Dario.

Es gibt Strukturen. Wir haben das Register der Weltbürger mit dem Verantwortlichen Daniel Durand. Es arbeitet im Hintergrund, aber er ist sehr wichtig für die Bewegung.

Die Organisation ‚Weltsolidarität gegen den Hunger‘ macht vieles. Wir haben nicht grosse Summen, um Projekte zu unterstützen, aber die Leute vor Ort bemühen sich, das Geld wieder zurück zu zahlen, so dass anderen geholfen werden kann. Natürlich gibt es auch welche, die das Geld nicht mehr zurückgeben können.

Dann gibt es die Versammlung der Weltbürger. Das ist ein Forum, wo Ideen entwickelt und diskutiert werden. Es ist aber der Kongress der Völker, welche die Entscheidungen trifft.

Leider gab es interne Machtkämpfe und der Kongress ist zur Zeit blockiert.

Wegen der damaligen Dengue – Epidemie wurde der Kongress abgesagt. Trotzdem sind Leute gekommen. Dann hat meine Nachfolgerin Eloisa Primavera demissioniert. So ist die Vizepräsidentin Liliane nachgerückt. Aber seither ist vieles versandet. Seit Jahren gibt es keine Wahlen mehr. So funktioniert zur Zeit die Bewegung auf kleinerem Niveau. Die Basis besteht und sie kommt vor allem aus Frankreich und mit Daniel Duran, Es gibt viele Verbindungen zu anderen Orgagnisationen und Initiativen in diesem Netzwerk. So ist es wichtig, dass diese integriert werden können. Wir haben das Menschenrechtsbüro lanciert, offiziell in Mulhouse. Bei Reden ende ich immer mit der Deklaration der Menschenrechte. Diese wurde erst auf Druck der Weltbürgerbewegung im Dezember 1948 von der UNO Versammlung in Paris verabschiedet. Heute müssen wir diese Erkklärung in Bezug auf die Folgen der Klimakrise lesen. Diese Prinzipien sollen der gesamten Menschheit dienen. Und vor allem sollen sie zeigen, dass alles miteinander verbunden ist.

Zur Zeit fehlen aber Animatoren, welche die Bewegung vorwärts bringen könnten.

Daneben gibt es das Esperanto. Wir haben hier im Weltbürgerhaus in Mulhouse Kurse gegeben. Aber der Lehrer ist fortgezogen, und niemand kann ihn ersetzen. Das ist alles sehr ambitioniert und gleichzeitig sehr prekär.

Was gut läuft sind die transnationalen Projekte. Ich sage extra transnational und nicht international. Jenseits aller Grenzen gibt es ein Netzwerk basierend auf der Gabe und Gegengabe. Es sind nicht die Exkolonialisten, welche nun Humanisten werden wollen und etwas vom Ueberfluss hier abgeben wollen. Es liegt an uns, etwas zu geben und entgegen zu nehmen. Ein Beispiel: in Nicaragua haben wir die Stadt Chiandega mondialisiert, Dort trafen wir interessante Projekte der Versöhnung. Wir unterstützten Sandinisten nach dem Krieg, aber es gab auch demobilisierte Contras, Söldner, die von der USA finanziert waren. Die Leute haben Versöhnungsprojekte gestartet mit ähnlichen Ansätzen, wie wir sie hier mit Gärten, landwirtschaftlichen Produktionen usw. machen. Sie haben das gemeinsam gemacht, mit Ausbildungen gemeinsam – Sandinisten und Contras. Dort sagte mir ein sandinistischer Kommandant, Siehst du da den dort; der hat mich im Krieg verletzt. Wir sahen wie sie zusammen Volleyball spielten, und das, zwei Jahre nach Kriegsende.

Da denke ich, das sollte doch auch in Palestina und Israel möglich sein. Nicht nur reden, ich bekomme ja jeden Tag ca. 30 Emails mit politischen Analysen, wer hat recht und wer nicht. Hamas hat recht, sie sind in einem Krieg. Ich sage ich mir, das war aber terroristisch nach Israel einzudringen und Leute zu massakrieren. Was Israel macht ist auch horrend. Hier gute politische Analysen zu machen ist leicht, hier an unserem Tisch. Wir haben zu essen und keine Bomben fallen auf unsere Köpfe. Wir sollten doch lieber Schulen der Gewaltfreiheit eröffnen, die Kibbuze könnten sich doch öffnen für beide Seiten. Man müsste Versöhnungsmethoden einsetzen.

Wir sind auch Teil von einem anderen Netzwerk mit dem Namen ‚Changer le Cap‘, welches Projekte sucht die gegenläufig zum Mainstream sind. Ich schlug ihnen vor, transnational zu handeln.

Das ist in etwa der Zustand der Weltbürger. Wir haben ab und zu Versammlungen. Wir haben nicht viele Ressourcen. Ich habe meine Karte, die wie eine Identitätskarte ist. Die Idee kam von Garry Davis. Er campiert auf der Brücke von Kehl. Er war ein Bomberpilot der US Luftwaffe und er sagte: es reicht jetzt. Er hat seinen Pass zerrissen und sich zum Weltbürger ausgerufen. Viele aktive Menschen unterstützten die Bewegung und versammelten sich um die Weltbürgerbewegung wie Albert Einstein, Camus, Jean Rostand und viele andere. Als Garry Adams die Uno Versammlung unterbrach und verhaftet wurde, intervenierte viele und so entstand der nötige Druck, die Menschenrechtsdeklaration zu verabschieden.

Garry Davis war lange Jahre das Aushängeschild, aber die Bewegung war nicht nur er. Seine Frau Esther, die eben verstorben ist, war gleich aktiv und effizient, aber zurückhaltender, Die Bewegung aufgebaut haben im speziellen das Ehepaar Marchan. Garry verliess die Organisation und gründete in den USA seine Organisation, die einen Weltpass herausgab. Er war nicht ganz ehrlich, indem er den Leuten vorgab, dass mit diesem Pass die Grenzen überschritten werden können, was natürlich nirgends der Fall war, und er liess die Leute zahlen, um einen Pass zu erhalten.

Die Weltbürgerbewegung macht weiter; es gibt Leute die Daniel Duran nachfolgen möchten, unter anderem ein Mann aus Ex-Yugoslawien, welcher aus Kaor stammt, das war die erste Stadt, die sich zum Weltbürgertum bekannte. Da gibt es eine sehr aktive Gruppe, und er möchte Verantwortung übernehmen.

Wir hatten mal eine Kundgebung der transnationalen Solidarität mit einer Stadt in Senegal, aber nicht die Stand, in der wir ein Projekt haben. Ich habe die Leute eingeladen und sie machten an der Kundgebung wie in Marokko mit Steinen so Steinmenschen oder öffentliche Bilder in Parks, um die Idee der Weltbürger zu verbreiten.

Wir hatten Begegnungen in Belgien mit dem Vater von Marc Garcet, in einem alten Steinbruch hat er einen Turm aus Steinen errichtet, und auf jeder Etage gibt es einen Ausstellungsraum, Es stellt die Entwicklung der Welt dar, und zuoberst hatte er symbolische Tiergestalten geschaffen, welche auf die Ebene herunterschauen, Das ist Herr Garcet und sein Sohn, auch Weltbürger und unser Freund. Er war der erste Dienstverweigerer aus Gewissensgründen in Belgien. Er organisiert jeden Jahr Sommeruniversitäten, er arbeitet mit Behinderten. Einmal hatten wir einen Baum für die Weltbüger gepflanzt. Ich war mehrere Male an diesen Sommerunis, das waren sehr partizipative Veranstaltungen. Und um den Turm gibt es ein grosses Gelände, Dort macht er alle 2 oder 3 Jahre eine Ausstellung zu fantastischer Kunst, Die Leute stellen Skulpturen aus, die alle etwas zum Thema Umwelt und Mensch zu tun haben. Die Objekte müssen das Wetter aushalten, denn sie stehen da draussen und das während 2 bis 3 Jahre.

Es gibt weiter Ivangelos, der während Jahren weltweit die Weltspiele für den Frieden organisiert hat. Das scheint zuerst komplett illusorisch, es ist eine utopische Idee, aber sie wurde Wirklichkeit und existierte. Er hat sicher über zehn Weltspiele organisiert. Sie sind das Gegenteil der olympischen Spiele, wo die Wettkämpfer wie Gladiatoren in den Stadien sind, und die Zuschauer auf den Tribünen. Hier hingegen sind alle in den Arenen, jung und alt, und alle spielen nach ihren Möglichkeiten z.B. Bogenschiessen. Er ist verbunden mit den Weltbürgern, aber er organisiert das unabhängig. Die Weltbüger unterstützten ihn und sind dabei.

Da gab es die Frau aus Korea, Li-Ching Ho. Sie hat vor drei Jahren etwas wirklich Grosses organisiert: Sie war Mitherausgeberin des UNSECO Almanch „Die Erziehung zum Weltbürger“.

Wir waren bei der Präsentation in Paris auf dem Trocadero, da war die ehemalige Ministerin Corinne Lepage, Umweltministerin der Regierung von Alain juppé, da war der Bruder von Giscard d’estaing. Wir waren in der Unsesco.

Falls ihr in Basel was mit den Weltbürgern organisieren wollt, ich komme gerne zusammen mit Daniel. Alles was ich organisiere, mache ich unter der Aegide der Weltbürger. Ich bin vielleicht ein Verräter für Frankreich, aber ich bin treu der Idee des Weltbürgertums geblieben. Ich habe mich dazu bekannt, und ich bin unbewusst dazu gekommen. Ich wurde mit 22 Jahren zum Wehrdienst nach Algerien eingezogen. Das war schrecklich. Du lebst ein unbeschwertes Leben, spielst Fussball, gehst Samstags in den Ausgang zum Tanzen. Du wusstest, dass die, welche in den Militärdienst eingezogen wurden, direkt nach Algerien verbracht wurden. Das haben wir auf die Seite geschoben und ignoriert, wir waren nicht beängstigt. Ich habe die Einberufung verschieben können, da ich ein Examen machen musste. Deshalb waren die anderen erst 20 Jahre alt und ich bererits 22. Da begegnete ich einer anderen Welt, und da wurde ich zum Militanten. Algerien wurde zu meinem Land, meiner Heimat. Ich bin in Lutterbach geboren, bin Elsässer. Aber Algerien ist das Land meines Herzens, Algerien ist der Ort an dem ich als Aktivist geboren wurde, aufgrund dieses Krieges, der extrem grausam war. Es war vor allem die offensichtliche Verachtung der Weissen gegenüber den andern. Es war der Kampf des Westens gegen den Orient. Sie diskreditierten, erniedrigten, sie hatten keinen Respekt gegenüber dieser autochthonen Bevölkerung, die nichts mit den Franzosen zu tun hatten, welche 1830 ins Land gekommen waren. So habe ich mich engagiert und schlussendlich wurde ich Mitglied der FLN, der nationalen Befreiungsfront.“

Das Interview wurde am 8. 11. 2023 aufgenommen.

Am 10. 11. 23, am Vortag zur Feier des Ende des ersten Weltkrieges, fand ein Tag des Friedens statt, organisiert vom Maison de la citoyenneté mondiale  Mulhouse.

Hier der ehemalige Bürgermeister vor dem Denkmal für das Leben an der Friedhofsmauer in Lutterbach, das den Bibelspruch darstellt: Macht aus Schwertern Pflugscharen.

Hier die Gedenktafel der ermordeten Resistance-Kämpfer aus Lutterbach.

Im 2. Weltkrieg wurde Lutterbach zu 96% zerstört. Lutterbach wurde zur deutschen Frontstadt, nachdem im Novemer 1944 die alliierten Armeen Mulhousen befreit hatten. Erst im März 1945 konnten die Deutschen Truppen vertrieben werden. Die Bevölkerung musste in dieser Zeit in den Kellern leben, eine grosse Gruppe überlebte in den Kellern der Bierbrauerei.

Hier ein Auszug des Beitrages von George Federmann, Psychiater aus Strassburg.

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