Wie erleben Männer den Aufbruch von Frauen? mozaik-Autorin Dragica Marcius ging auf die Strasse und sprach mit Männern über diese Frage.
Erst im Jahr 1971 gewährten die Schweizer Männer den Frauen das Stimm- und Wahlrecht auf Bundesebene. Somit war sie eines der letzten europäischen Länder, das Frauen die vollen Bürgerrechte zugestand. Ist die jahrtausendealte Herrschaft des Patriarchats damit am Ende, fragen sich viele Frauen? Noch lange nicht, ist ihre Antwort. Massive Veränderungen der Berufswelt und des Bildungssystems haben eine Dynamik in Gang gebracht, die die Beziehung zwischen Männern und Frauen nachhaltig verändert hat. Wie gehen Männer mit diesem Aufbruch in ein neues Geschlechtergleichgewicht um?
Gerne hätte ich auf der Dreirosenmatte Männer zu diesem Thema befragt. Die meisten winkten ab oder wollten ihre eher frauenfeindlichen Meinungen nicht gedruckt sehen. Also beschloss ich, diese Frage Männern zu stellen, die ich auf der Strasse traf und von denen ich annahm, sie würden die Frage gern beantworten.
Ludovic, 25, Physiotherapeut
Ich erlebe den Aufbruch der Frauen als spannend, aber auch herausfordernd. Viele Frauen zeigen sich selbstbewusst und fordern Gleichstellung in Beruf und Gesellschaft. Das ist inspirierend, und ich erkenne, wie wichtig es ist, diese Veränderungen zu unterstützen. Die traditionellen Rollenbilder, mit denen ich aufgewachsen bin, werden hinterfragt, was für mich eine Chance zur persönlichen Weiterentwicklung darstellt. Letztlich sehe ich den Aufbruch der Frauen als einen positiven Wandel, der uns allen hilft, offener und gleichberechtigter miteinander umzugehen.
Pedro und Fernando (Brüder), 30 und 31, beide Bankangestellte
Wir erleben es beide als sehr positiv, dass den Frauen mehr Rechte zugesprochen werden und sie auch in besseren Positionen zu finden sind. Das war ja früher total krass, dass sie sogar den Mann um Taschengeld bitten mussten. Schlimm finden wir es auch, dass Männer früher überhaupt nichts im Haushalt gemacht haben und sich nur bedienen liessen. Schon bei unserer Mutter hat sich das sehr verändert. Die war gar nicht zimperlich und hat uns Jungen Beine gemacht, wenn es um Hausarbeiten ging. Unsere Schwester hat gelacht und gesagt: Dafür bekommt ihr später auch mal Frauen auf Augenhöhe. Wir haben ganz tolle Freundinnen. Und die sind tatsächlich auf Augenhöhe!
Kogar, 39, Lüftungsanlagenbauer
Meine Frau ist zu Hause, weil das bei uns in der polnischen Kultur üblich ist. Sie muss nicht arbeiten. Erstens verdiene ich als ausgebildeter Lüftungsanlagenbauer genug und zweitens macht sie ja den Haushalt und kümmert sich um die beiden Kinder. Wenn Frauen etwas anderes möchten, muss das diskutiert werden. Ich bin nicht generell einverstanden, dass Frauen alles dürfen. Das darf ich ja nicht laut sagen. Ja, ich weiss, mit dieser Meinung bin ich nicht modern. Ein bisschen Angst habe ich, wenn meine Tochter in die Pubertät kommt und wir dann wahrscheinlich Kämpfe ausfechten müssen. Aber so weit ist es ja noch nicht. Sie ist ja erst neun Jahre alt. Und bis dahin muss ich wahrscheinlich noch einiges lernen, muss mich darauf einzustellen.
Daniel, 68, Pharmaassistent im Aussendienst
Grundsätzlich finde ich es gut, dass Frauen aus den alten Rollenmustern ausgebrochen sind und noch immer ausbrechen. Sie haben die gleichen Rechte und werden hoffentlich auch gleich behandelt. Natürlich weiss ich, dass Theorie und Praxis auseinanderklaffen. Ich habe genügend Geld verdient und meine Frau hat den Haushalt und unsere Kinder betreut. Zwischendurch habe ich sie manchmal benieden, dass sie ihre Zeit selber einteilen konnte, Kurse und Seminare besucht hat, die sie weitergebracht haben. Das hätte ich auch gern gemacht, habe manchmal darüber gegrollt. Aber meine Arbeit hat mir Freude gemacht und so habe ich es meiner Frau gegönnt. Mein erwachsener Sohn sagt mir heute manchmal, dass er meine Haltung damals auch gut verstehen kann.
Hans, 70, ehemalige Lehrperson
Es freut mich, wenn Kompetenz bei der Vergabe einer verantwortungsvollen Aufgabe das entscheidende Kriterium ist und nicht Geschlecht, Hautfarbe, Religion, sexuelle Orientierung oder soziale Herkunft. In der Kulturszene, die vielfach von Frauen geleitet wird, haben zurzeit binäre, heterosexuelle, weisse Männer ohne Migrationshintergrund definitiv schlechte Karten. Das hat mit Chancengleichheit nichts zu tun. Chancengleichheit gibt es im Sport: Der schnellste 100-Meter Läufer bekommt die Goldmedaille, die Stoppuhr ist unbestechlich. Wir leben nicht in Afghanistan oder im Iran, hier darf jede Frau entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten möchte. Es ist nichts verboten. Es gibt keine bösen Männer, die sie daran hindern. Margaret Thatcher wurde 1979 Premierministerin und inzwischen ist das Verhältnis Mann/Frau in der Politik ausgewogen. Ich verstehe auch die vielen jungen Frauen, welche es vorziehen, sich auf das Familienleben zu konzentrieren, anstatt eine Karriere anzustreben.
Mathieu, 30, Physiotherapeut
Ich denke, dass der grösste Aufbruch der Frauen viel früher stattgefunden hat, eher in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 70er Jahre, als das Frauenwahlrecht in der gesamten westlichen Welt etabliert wurde. In der Schweiz ist die Gleichstellung von Mann und Frau kein Thema mehr. In meiner jungen beruflichen Laufbahn hatte ich nur Frauen als Vorgesetzte. Allerdings hat die Konsumgesellschaft meiner Meinung nach das Bild der Frau durch die Förderung einer Hypersexualisierung verschlechtert. Dieses Phänomen hat, wie ich finde, einen grossen Einfluss auf Jugendliche. Der Respekt gegenüber Frauen und die Höflichkeit gehen zunehmend verloren. Daher hoffe ich, dass all die Kämpfe unserer Grossmütter nicht verloren gehen und dass wir uns nicht auf einen neuen Kampf zwischen Männern und Frauen zubewegen.
Heinz, 75, Journalist und Autor
Aufbrüche gab es schon im 17. und 18. Jahrhundert. Inzwischen ist der Feminismus zu einer Kraft geworden, die das Potenzial hat, die Gesellschaft zu verändern. Für mich als Mann ist diese das Patriarchat in Frage stellende Entwicklung logisch und zwingend. Vernunft und Gerechtigkeit sind Schwestern. Bei einem nötigen weiteren Ausbau der Demokratie und der Menschenrechte profitieren alle von der Gleichstellung der Geschlechter. Denn bereichernd sind Begegnungen nur auf Augenhöhe. Es gab wohl schon immer Männer, die das begriffen und zu leben versucht haben. Mit der Gleichstellung von Frauen und Männern ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Weitere Teile der Gesellschaft kämpfen dafür, auf Augenhöhe gehoben zu werden. So weit, dass am Ende das Gemeinsame, das Menschsein und nicht die Differenz im Zentrum steht. Der Aufbruch der Frauen dient dabei als Motor und Pacemaker.
Jan, 77, ehemaliger Eisenbahningenieur
In der Geschlechterwelt ist zwar einiges in Bewegung. Dennoch sind Frauen noch immer schlechter gestellt, müssen auf der Strasse oder in einer Beziehung um ihre physische Integrität bangen, verdienen bei gleicher Arbeit weniger, sind in höheren Positionen unterrepräsentiert. Wird eine Frau in eine Spitzenposition berufen, ist es oft als Bauernopfer, um den hoffnungslos festgefahrenen Karren aus dem Sand zu ziehen. Wahrscheinlich ist es den meisten Männern nicht bewusst, weil es eine langsame, natürliche Entwicklung ist. Ausnahmen sind diejenigen Männer, die sich schon immer benachteiligt fühlten. Diese sind der Ansicht, dass die Frau folgsam zu sein hat. So verpassen sie jede potenziell lehrreiche Erfahrung.
Dragica Marcius