Als Schifferseelsorger steht Diakon Walter Schär den Schiffsleuten bei, die in Basel anlegen. «Ihr ständiges Unterwegssein ist für mich sinnbildlich für unsere Existenz auf Erden.»
Walter Schär wohnt mit seiner Frau in Kleinhüningen, nur ein paar Schritte von einem seiner Wirkungsorte entfernt, dem Basler Rheinhafen. Die gemütliche Wohnung zeugt von Menschen, die in ihrem Leben viel unterwegs waren und ihre Weltoffenheit und ihr Engagement über die Pensionierung hinaus bewahrt haben. Für Schär heisst dies hauptsächlich: Er führt die Schifferseelsorge weiter. Zusammen mit seinem katholischen Kollegen Alex Wyss bildet er das Team der ökumenischen Schifferseelsorge in den Rheinhäfen beider Basel – freiwillig und unentgeltlich.
Was bedeutet das?
«Zwei bis drei Mal pro Monat gehen wir in die Häfen zu den Schiffsleuten und bieten ihnen das Gespräch an», erklärt Schär. In der Regel werden sie wohlwollend empfangen, mit der Zeit kennt man sich. Meistens geht es um Alltägliches. Ein Matrose benötigt dringend einen Zahnarzt. Eine Schifferfamilie möchte am Wochenende etwas unternehmen. Der Schifferseelsorger macht Vorschläge. Neben einem Leporello mit zwei Schiffergebeten in sieben Sprachen hat er immer auch Broschüren von «Basel Tourismus» dabei. Sehr beliebt sind Ausflüge mit der Seilbahn auf die Wasserfalle. Oder ein Besuch des Rheinfalls.
Schär ist kein Missionar, der Traktätchen verteilt. Er sieht sich als Sozialarbeiter im Geist des Evangeliums. Das ist bei weitem nicht immer trivial. Schwere Unfälle in der Rheinschifffahrt seien stark zurückgegangen. Aber natürlich blieben auch die Schiffsleute und ihre Familien nicht von harten Schicksalsschlägen verschont. Einmal sei er in eine Kabine getreten, wo fünf Frauen weinend um einen Tisch gesessen seien. Sie hätten ihn gebeten, mit ihnen zu beten. Was war passiert? Der Sohn einer der Familien habe sich das Leben genommen.
Die beiden Schifferseelsorger gehören zum Care-Team der Basler Rheinhäfen. Dieses wird aufgeboten, wenn sich ein schwerer Unfall ereignet, Verletzte und Angehörige zu betreuen sind. Wichtig sind Schär die Beziehungen zu den Hafenbehörden und zur Schifffahrtspolizei. Diese unterstützt die Schifferseelsorger etwa dann, wenn sie am St. Niklaus-Tag und an Ostern je mehr als 100 Schoggikläuse bzw. Schoggihasen auf den Schiffen verteilen.
Für Schär ist die Aufgabe eine Rückkehr und eine Möglichkeit, mit der Schifffahrt in Verbindung zu bleiben. In seinem Arbeitsleben hat er eine Passion für die Schifffahrt entwickelt. Auch wenn er manchmal weitab vom Wasser im Einsatz war. Geboren wurde er im Thurgau, am Bodensee. Nach der Sekundarschule wollte er Pilot werden. Eine Farbenschwäche hinderte ihn daran; auch Lokiführer kam nicht mehr in Betracht. Also absolvierte er eine eine kaufmännische Verwaltungslehre. «Aber mein Leben auf einem Grundbuchamt verbringen wollte ich nicht!» Er liess sich zum Diakon ausbilden. Bereits seine zweite Stelle war jene, auf die er wegen der Schifffahrt ein Auge geworfen hatte: Kleinhüningen. Er blieb 15 Jahre, arbeitete als Gemeindehelfer und Schifferseelsorger. Als solcher veranstaltete er jährlich eine grosse Schifferweihnachtsfeier sowie Treffen mit Schiffsjungen und Kapitänen. Und besuchte die Schiffsleute, wenn sie in einem der drei Basler Häfen lagen.
Die Basler Schifferseelsorge im Wandel der Zeit Eine ausführliche Darstellung der Geschichte der Basler Schifferseelsorge von Walter Schär
Nach einem Intermezzo als Gastgewerbe-Seelsorger in Zürich ging er zur Deutschen Seemannsmission und wurde «Port Chaplain» in Djakarta. Und fuhr als Seemannspastor auf Hochseeschiffen über die Weltmeere. Das Ende seiner beruflichen Laufbahn war dann sozusagen ein Landgang, als Diakon in den Kirchgemeinden von Zollikofen (BE) und Pratteln-Augst.
Holland als zweite Heimat
«Man muss die Welt der Schiffer verstehen, damit man ihnen mitfühlend begegnen kann», sagt Schär. Für die Stelle am Rheinknie musste er sich verpflichten, Holländisch zu lernen. Er absolvierte ein Praktikum in den Niederlanden, wohnte bei einem Pfarrerehepaar in Amsterdam und lernte neben der Sprache die ganze Welt der Schifffahrt kennen. «Holland ist so meine zweite Heimat geworden».
Linderung von sozialer Not
Die Schifferseelsorge geht auf die 30er-Jahre und die damalige Wirtschaftskrise zurück. 1937 setzte die Kirche den ersten Schifferseelsorger ein. Dessen Arbeit, schreibt Schär, stand ganz im Zeichen der Linderung von sozialen und menschlichen Nöten.
Der Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg brachte Arbeit, modernere und komfortablere Schiffe. Der Anteil an schwerer körperlicher Tätigkeit ging zurück. Geblieben sind die oft lange Trennung von Frau und Familie, das ständige Unterwegssein, der Zeitdruck. Das Gewerbe ist eine Männerdomäne. «Die zusammengewürfelte Männergemeinschaft», so Schär, «erinnert mich stark an das Militär.» Auch in der Schifffahrt herrsche eine strenge Hierarchie, die je nach Zusammensetzung mehr oder weniger menschlich gelebt werde.
Anfang der 90er-Jahre stellte die Kirche die Diakonie in Kleinhüningen ein. Das war das Aus für die Schifferseelsorge – bis Schär 2011 die Besuchstätigkeit in den Häfen wieder aufnahm. Was wird, wenn er nicht mehr kann? «Die Nachfolge ist gesichert», ist er zuversichtlich.